“Tapen der Finger” von Volker Schöffl

Source: Volker Schöffl

Klar, jeder Kletterer taped seine Finger gelegentlich. Wieso eigentlich extra einen Artikel darüber, ist doch Kinderleicht? Überraschenderweise eben nicht. Oft sehen wir wirklich abenteuerliche Tapes, die mehr schaden als nützen, und das soll es nicht sein.

Eine französische Webpage über Klettertapes zeigt gar ein Bild eines Fingers der komplett eingetaped, also komplett weiß ist. Das ist natürlich völliger Quatsch. Tape soll die passiven Strukturen stärken, und das kann es eben nur wenn es punktuell Druck gibt und anderweitig Entlastung, d.h. es müssen genug „Weichteilfenster“ vorhanden sein, damit das Bindegewebe und Fettgewebe unter der Haut ausweichen kann.

Bevor wir uns die einzelnen Fingertapes genauer ansehen ein paar prinzipielle Betrachtungen. In der Sportmedizin unterscheiden wir statische Tapes, also nicht-dehnbare herkömmliche Tapes und dynamische Tapes wie Kinesiotapes. Auch wenn Kinesiotapes beim Klettern eine breite Anwendung erfahren und therapeutisch wichtig sind, werden wir diese hier nicht behandeln da es sich um therapeutische Tapes handelt die von einer ausgebildeten medizinischen Kraft (Physio, Doc) angelegt werden. Beim Tapen der Finger unterscheiden wir generell ein therapeutisches und ein prophylaktisches Taping.

Prophylaktisches Taping wird vor allem als sog. „Tape-glove“ beim Rißklettern angewendet um Hautabschürfungen vorzubeugen. Hier sind besonders der Handrücken mit Fingerknöcheln und die Fingermittelgelenke betroffen. Jedermann weiß, wie schmerzhafte Abschürfungen weiteres Klettern verleiden, wenn nicht gar ganz verhindern können. Gelegentlich kann auch ein Fingergelenk, das bei einem Zug in einer bestimmten Tour stark beansprucht wird, als Verletzungsschutz getapt werden. Ein generelles prophylaktisches Tapen ist jedoch nicht anzuraten: Der menschliche Körper ist ein dynamisches System und reagiert auf Reiz mit einer Reizantwort. Das heißt, er braucht einen gewissen Reiz auf den Kapsel-Bandapparat der Finger, damit dieser sich reaktiv verstärkt und so Belastungen besser gewachsen ist. Wenn ein Reiz immer unterdrückt wird, bleiben die nötigen Anpassungen aus.

Therapeutisches Taping verwenden wir bei Überlastungssyndromen oder bei der Wiederaufnahme des Kletterns nach Verletzungen. Auf dieses therapeutische Tapen wollen wir im folgenden Abschnitt genauer eingehen.

Ein paar Grundsätze, welche wir in unseren Tapekursen immer besonders behandeln, gilt es prinzipiell zu beachten:

- Die Tapebreite muss der Fingerdicke angepasst sein (Weichteilfenster, siehe oben). D.h. die Breite die auf meine Wurschtfinger passt bringt bei einem Dünnfinger keinen Erfolg.

- Tape darf nie direkt von der Rolle auf die Haut gezogen werden, hier ist der Zug zu stark und es gibt Hauteinrisse
- Prinzipiell darf eigentlich nie zirkulär, d.h. einmal komplett um die Extremität herum getaped werden. Bei Fingertapes muss hier eine Ausnahme gemacht werden damit diese ausreichend stabil sind. Allerdings muss immer die Durchblutung des Fingers ausreichend sein, d.h. wenn er dunkelblau anläuft ist das Tape zu straff und muss weg.
- Die Funktionsstellung des Fingers muss berücksichtigt werden. Das heißt wenn ich die Streckung des Fingermittelgelenkes einschränken möchte, wie z.B. bei einer Beugesehnenzerrung, muss ich bei einer Mittelgelenksbeugung von 30-45° das Tape anlegen.
- Nie direkt vor dem Tapen die Haare abrasieren, das führt zu Infektionen.
- Die Haut sollte trocken und entfettet sein.

 

Die vorgestellten Tapes können allerdings eine wirkliche ärztliche Diagnose nicht ersetzen! Wenn der Finger länger als ein paar Tage schmerzt oder es zu einer plötzlichen größeren Verletzung, evtl. gar mit Funktionsausfall kommt, muss das von einem Fachmann angesehen werden. Die Tapes sind eher gedacht um nach einer ärztlichen Diagnose die Wiederaufnahme des Klettersportes zu unterstützen bzw. die Heilung zu beschleunigen. Gerade die Unterscheidung einer Sehnenscheidenentzündung zu einer Ringbandverletzung kann nur mittels einer Ultraschalluntersuchung oder MRT getroffen werden. Mann gewinnt selten Zeit indem man eine Verletzung ignoriert, taped und über den Schmerz drüber klettert.

 Fingertapes im Einzelnen:

 Fingermittelgelenk:

 Wann: Kapselzerrung, Kapselentzündung, Zerrung der Beugesehnen, Verletzungen der Lumbrikalissehnen

Symptome: u.a. Schmerzen und Schwellung im Gelenk, v.a. bei Längszug. Bei einem Gelenkerguß sind die Schmerzen oft auch streckseitig. Sehnenzerrungen der Beugesehnen schmerzen v.a. in der hängenden Fingerposition, weniger in der aufgestellten.

Fingerendgelenk:

Wann: Kapselverletzung, Kapselentzündung, Ganglion

Symptome: siehe oben, ein Ganglion zeigt sich als schmerzhafte prallgefüllte Ausstülpung der Gelenkkapsel

Wie: Eine Achtertour am Endgelenk ist aus Platzgründen nicht möglich. Das Tape würde zum Großteil auf der Fingerkuppe liegen, beim Greifen behindern und verrutschen. Hier kann nur zirkulär um das Gelenk mit etwa eineinhalb Windungen locker getapt werden.

 

Fingergrundgelenk:

Wann: Kapselverletzung, Kapselzerrung, Verletzung der streckseitigen Bänder zwischen den Fingergrundgelenken, Strecksehnenverletzungen (v.a. der Querverbindungszügel)

Symptome: siehe u.a. oben, Schmerzen streckseitig zwischen den Fingerknöchelchen, Schwellungen

Wie: Ein Taping des Fingergrundgelenkes ist etwas trickreich aber sehr effektiv. Das Tape sollte bei trockener und entfetteter Haut angelegt werden, das heißt noch vor dem Klettern. Bei der Tapeanlage gilt es das Fingergrundgelenk leicht, 15-20° zu Beugen, streckseitig soll der eine Zügel vor und der andere hinter dem Köpfchen kreuzen. Auch wenn man beim Anblick meint, dass sich die Tapeenden schnell aufrollen werden hält es doch erstaunlich gut. Ich durfte es über ein Jahr lang ausprobieren und es hat prima funktioniert.

Buddy-Taping

Wann: Seitband und schwere Kapselverletzung

Symptomev.a. Schmerzen bei seitlicher Belastung im Gelenk. Eine größere Kapselverletzung, Seitbandkomplettruptur bzw. knöcherner Bandausriß muß ärztlich ausgeschlossen werden.

Wie: Bei schwereren Kapsel- und Seitbandverletzungen empfiehlt sich ein sogenanntes„Buddy“Taping. Hierbei wirkt der gesunder Finger schienend für den verletzten Finger, eben wie ein „Buddy“ (engl.Kumpel“) der seinen Kollegen stützt. Dies lässt sich zum Beispiel sehr gut auf dem „Anna“- Fest in Forchheim oder der Erlanger „Bergkirchweih“ trainieren.

 

Ringbandverletzung und Sehnenscheidenentzündung

Wann: Ringbandverletzung (Zerrung, Riß), Sehnenscheidenentzündung

Symptome: Druckschmerz handflächenseits an der Fingerbasis, evtl. gar Hervorspringen der Beugesehne, Reibegeräusche. Beim Ringbandriß evtl. knallendes Geräusch.

Wie: Nun wird’s kompliziert, denn wir wollen nicht nur zeigen wie´s funktioniert sondern auch noch biomechanisch erklären warum es funktioniert.

Die Ringbänder sind dünne Bänder, welche die Beugesehnen am Knochen festhalten und so eine bestmögliche Übertragung der in den Sehnen entwickelten Kraft auf den Knochen gewährleisten. Nach einer Ruptur entfernt sich die Sehne dementsprechend bei Beugung des Fingers vom Knochen, ein Phänomen, das man als Bowstring (Bogensehneneffekt) bezeichnet. Zu einem Bowstring kommt es nur, wenn der Finger gebeugt ist. In einer gebeugten Fingerposition, wie beim Aufstellen, sind die Kräfte, die auf die Ringbänder wirken deshalb auch dann am allergrößten. Der Bowstring ist besonders an der Stelle ausgeprägt, an der die Sehne die größte Umlenkung erfährt, und zwar über dem Gelenk (siehe Bild). Unser H-tape („Isa“-Tape, denn die Isa hat´s erfunden) funktioniert so dass sie genau an dieser Stelle die Sehne wieder zum Knochen hinzieht und so zu einer Entlastung der übrigen Ringbänder führt. Dafür muss ein ungefähr 1,5 cm breites Tape mit einer Länge von ungefähr 8-10 cm (fingerdickenabhängig) von beiden Enden her mittig eingerissen werden, so dass in der Mitte ein Steg von ca. 1 cm Breite stehen bleibt und jeweils zwei 0,75 cm starke Zügel auf jeder Seite des Steges stehen bleiben (siehe Abbildung). Zwei dieser Zügel werden dann unter dem Gelenk durchgeführt und stramm festgeklebt. Dann wird das Gelenk gebeugt und die zwei verbleibenden Zügel werden über dem Gelenk durchgeführt und dort stramm festgeklebt (s. Abbildung).

Das Tape sollte stramm angezogen werden. Spätestens nach der ersten Tour dehnt sich das Tape auf und die Durchblutung ist wieder normal. Deshalb sollte das Tape auch wirklich erst unmittelbar vor dem Klettern angelegt werden, da sonst die Durchblutung zu lange vermindert würde. Zur Sicherung des neuen Tapes kann man es noch mit einem schmalen Tapestreifen, der in Form einer 8 darüber gelegt wird absichern. Indem das Tape genau in der Beugefalte des Fingermittelgelenkes angreift bewirkt es mehrere Effekte. An diese Stelle ist der Finger vergleichsweise dünn, das heißt unter der Haut gibt es kaum Fett- und Bindegewebe. Der Druck des Tapes kann so direkt auf das Beugesehnensystem wirken. Zusätzlich wirkt das Tape genau über dem A3-Ringeband. Das A3-Ringband ist viel dünner und elastischer als das A2 und das A4 Ringband. Außerdem setzt es nicht wie die beiden anderen direkt am Knochen sondern mobil an der palmaren Platte an, das heißt es dehnt sich bei der Beugung deutlich mehr. Dadurch dass der zentrale Tapezügel genau hier angreift werden die Beugesehnen näher zum Knochen herangezogen und somit indirekt die verletzte Struktur, sei es das A2 oder das A4 Ringband entlastet. Der gleiche Effekt wirkt bei der Sehnenscheidenentzündung. Die Sehnenscheidenentzündung entsteht durch Reibung an der Umlenkung der Sehnen am Ende des Ringbandes. Wird dieser Winkel, wie durch das H-Tape abgeflacht, verringert sich die Reibung und die Sehnenscheidenentzündung kann abheilen.

Um die Effektivität des neuen Tapes zu untersuchen, haben wir zwei wissenschaftliche Studien durchgeführt und konnten nachweisen, dass der Bowstring, den man nach Ringbandruptur im Ultraschall messen kann, deutlich durch das neu entwickelte Tape verringert werden konnte (keine der anderen üblichen Tapemethoden zeigten irgendeinen Effekt) und dass auch die Kraft in der aufgestellten Fingerposition durch das Tape verbessert werden konnte, wenn auch nur minimal. Aber zum Kraftgewinn muss man nicht tapen! Die Anwendung der neuen Tapemethode wurde von allen Probanden als besonders stabilisierend empfunden. Der einzige Nachteil ist das Anlegen, was oft nervenaufreibend ist und viel Übung bedarf. Aber irgendwann geht es wie im Schlaf. Mittlerweile ist das „Isa-Tape“ oder „H-Tape“ so populär dass sogar das ZDF dazu einen Beitrag brachte (www.sportmedizin-bamberg.com)

Insgesamt gilt, dass die gezeigten Tapes eine ärztliche Diagnose nicht ersetzen können und dürfen, aber bei der Rehabilitation gut weiterhelfen.

Für weitere Einzelheiten siehe auch:

Verweis: „Soweit die Hände greifen“, T.Hochholzer, V.Schöffl, Lochner Verlag

Bzw. www.sportmedizin-bamberg.com

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